++ Wir brauchen dein Feedback - jetzt unsere Umfrage machen ++

Interview

Dr. med. Rebeccas Sänger - Frozen Shoulder in den Wechseljahren

Veröffentlicht von Saskia Appelhoff im November 2025

Artikelbild Dr. med. Rebeccas Sänger - Frozen Shoulder in den Wechseljahren

Wenn diffuse Schmerzen plötzlich zum Alltag gehören Schmerzen in Schulter, Nacken oder Knien, die einfach nicht verschwinden – und kein Befund, der sie erklärt. Viele Frauen erleben genau das in den Wechseljahren. Doch noch immer wissen selbst Ärztinnen und Ärzte oft nicht, dass hormonelle Veränderungen massive Auswirkungen auf Muskeln, Sehnen und Gelenke haben können. Dr. med. Rebecca Sänger, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Universität Greifswald, will das ändern. Sie verbindet chirurgische Praxis mit Forschung zur Gendermedizin – und macht sichtbar, wie stark der weibliche Körper in den Wechseljahren auf hormonelle Umstellungen reagiert. Im Interview erklärt sie, warum viele Frauen mit Schmerzen allein gelassen werden, was hinter der sogenannten Frozen Shoulder steckt – und warum jetzt der Moment ist, an dem Frauen anfangen sollten, sich selbst wieder ernst zu nehmen.

Wie erleben Sie Patientinnen in den Wechseljahren in Ihrer orthopädischen Praxis?

Die wenigsten kommen direkt mit dem Thema Wechseljahre. Meist werden sie geschickt, weil niemand weiterweiß. Sie haben diffuse Schmerzen – in der Schulter, im Nacken, im Knie – und schon mehrere Untersuchungen hinter sich. Wenn man dann genau hinschaut, stellt sich oft heraus: Die Beschwerden begannen zeitgleich mit Hitzewallungen oder anderen Wechseljahressymptomen.

Manche profitieren sehr von einer Hormonersatztherapie, andere gar nicht. Warum das so ist, wissen wir noch nicht. Aber klar ist: Wir brauchen dringend mehr Forschung, um diese Zusammenhänge zu verstehen.

„Die wenigsten kommen mit dem Satz: Ich bin in den Wechseljahren“

Viele Frauen beginnen beim Hausarzt, der sie wegen Muskelschmerzen an den Orthopäden überweist. Dort wird dann meist das betroffene Gelenk untersucht – und wenn nichts passt, heißt es: „unklare Beschwerden“. An die Wechseljahre denkt kaum jemand.

Es steht dann auf der Überweisung ‚diffuse Gelenkschmerzen‘ – das ist so eine kryptische Diagnose, die zeigt: Man weiß selbst nicht, was es ist.

Oft folgt eine MRT-Untersuchung, aber keine klare Auswertung. Wenn Physiotherapie verschrieben wird, fehlt die Anleitung. Der Therapeut weiß nicht, ob er dehnen, kräftigen oder massieren soll. So fischen alle im Trüben.

Dabei wäre es so wichtig, individuell zu schauen: Wann treten die Schmerzen auf? Morgens, nach Ruhephasen? Dann hilft vielleicht Wärme. Und Übungen, die realistisch in den Alltag passen – nicht solche, für die man eine Stunde am Tag braucht.

„Frozen Shoulder – ein Schmerz, den man kaum aushält“

Wie behandeln Sie eine Frozen Shoulder, besonders bei Frauen in den Wechseljahren?

Die Frozen Shoulder verläuft in drei Phasen. In der Akutphase ist der Schmerz unerträglich. Viele können nicht mehr schlafen oder sich bewegen. Hier geht es zuerst darum, den Schmerz zu lindern – manchmal braucht es dafür sogar Morphinpräparate über die Vene.

Wenn die Entzündung abklingt, beginnt die Schulter einzusteifen. Dann helfen manuelle Therapie, Massagen und gezielte Bewegungen im schmerzfreien Bereich. Etwa 80 bis 90 Prozent der Fälle können ohne Operation behandelt werden, aber der gesamte Verlauf kann bis zu zwei Jahre dauern.

Lade Nutzerprofil…

Was passiert bei einer Operation?

Wir operieren minimalinvasiv, mit einer Arthroskopie. Dabei lösen wir die verdickte Gelenkkapsel und entfernen die Narben – das Gelenk wird sozusagen von innen „freigelegt“. Trotzdem kann es danach wieder versteifen, weil jede OP auch einen neuen Entzündungsreiz setzt. Es ist wirklich nur der letzte Ausweg.

Welche Rolle spielt die Hormonersatztherapie?

Wir wissen, dass Östrogen antientzündlich wirkt. Außerdem scheint es die Schmerzwahrnehmung zu beeinflussen, indem es an Morphinrezeptoren ansetzt. Diese Mechanismen könnten erklären, warum viele Frauen in den Wechseljahren vermehrt Entzündungen oder Schmerzen entwickeln.

„Es trifft nicht die, die nichts tun. Oft sind es genau die Frauen, die schon gut auf sich achten – und das macht es so gemein.“

Stimmt es, dass fast nur Frauen eine Frozen Shoulder entwickeln?

Ja, absolut. Ich kann die Zahl der betroffenen Männer an einer Hand abzählen. Es tritt praktisch nur bei Frauen auf – meist im Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen. Und eine gesunde Lebensweise schützt nicht unbedingt. Viele Betroffene leben bereits gesund: Sie machen Yoga, ernähren sich ausgewogen, schlafen ausreichend. Trotzdem sind sie betroffen.

Natürlich hilft eine antientzündliche Ernährung und regelmäßige Bewegung. Wichtig: Wer Krafttraining macht, sollte sich auch dehnen – sonst geraten die Gelenke zusätzlich unter Druck. Und der Alltag vieler Frauen lässt all das kaum zu.

Daher ist Prävention schwierig. In den Patientendaten zeigen sich häufig Begleiterkrankungen – etwa Schilddrüsenprobleme, Diabetes oder Depressionen. Das deutet auf hormonelle Zusammenhänge hin. Aber sicher verhindern lässt sich eine Frozen Shoulder bislang nicht.

„Wir wissen nicht, wen es trifft“

Lade Nutzerprofil…

Was raten Sie Frauen, die den Verdacht haben, betroffen zu sein?

Nicht abwarten! Der Schmerz ist so stark, dass man ihn nicht ignorieren kann. Wer betroffen ist, sollte zum Orthopäden gehen – oder, wenn es gar nicht mehr geht, in die Notaufnahme. Schmerzmittel dürfen in der Akutphase eingenommen werden, auch Ibuprofen. Außerdem ist ein MRT wichtig, um andere Ursachen auszuschließen.

Zu Hause kann man mit Kissen unter dem Arm oder an der Schulter für Entlastung sorgen. Danach heißt es: Geduld. Das Krankheitsbild braucht Zeit – aber es wird besser. Wenn der behandelnde Orthopäde das Thema nicht ernst nimmt, dann auch den Arzt wechseln. Immer mehr Fachärztinnen und Schulterchirurgen beschäftigen sich inzwischen mit der Thematik – auch dank wachsender Aufmerksamkeit auf Fachkongressen.

„Es bringt nichts, jemanden überzeugen zu wollen, der das Thema nicht versteht. Lieber zu jemandem gehen, der sich mit Frauengesundheit auskennt.“

Was möchten Sie Frauen in den Wechseljahren zum Schluss mitgeben?

Frauen müssen lernen, sich selbst wieder ernst zu nehmen. Viele kümmern sich um Familie, Beruf, Partner – aber nicht um sich. Dabei verändern sich Körper und Bedürfnisse in dieser Lebensphase stark.

Muskelschmerzen, Gelenksteifigkeit, Müdigkeit – all das sind häufige Wechseljahressymptome, nicht bloß Hitzewallungen. Wer sie erkennt und aktiv gegensteuert, kommt besser durch diese Zeit. Bewegung, Aufmerksamkeit und Selbstfürsorge sind keine Luxusgüter – sie sind Medizin.

“Frauen müssen anfangen, sich selbst wichtig zu nehmen”.

Bio

Dr. med. Rebecca Sänger ist Spezialistin für Geschlechtsspezifische Medizin und Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie. Sie studierte an der Charité in Berlin – einer der ersten Universitäten Deutschlands, die Gendermedizin als Wahlfach anbot. Nach beruflichen Stationen in Berlin und München zog sie nach Greifswald, um dort gezielt in der Forschung zu arbeiten. Heute ist sie als Kniechirurgin tätig und beschäftigt sich wissenschaftlich mit geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Orthopädie – insbesondere mit den Auswirkungen der Wechseljahre auf Muskeln und Gelenke.

@diedoktorinnen

Zusammenfassung:

Wechseljahre sind weit mehr als ein hormonelles Thema. Sie betreffen den ganzen Körper – auch Gelenke, Muskeln und Beweglichkeit. Noch wird zu wenig darüber gesprochen, noch seltener gezielt behandelt. Doch Ärztinnen wie Dr. Sänger sorgen dafür, dass sich das ändert. Schritt für Schritt – Schulter für Schulter.