Mai-Brit (48): Warum redet niemand über weiblichen Lustverlust?
Veröffentlicht von Saskia Appelhoff im Juli 2025
Als bei Mai-Brit die ersten Zeichen der Wechseljahre auftauchten, fühlte sie sich wie eine Fremde im eigenen Körper. Verwirrt, erschöpft und voller Zweifel stand sie vor einer Wand des Schweigens – niemand erklärte ihr, was mit ihr geschah, niemand hörte wirklich zu. Ihre Lust verschwand, ihr Selbstbild zerbrach, und sie kämpfte sich allein durch eine Zeit, die ihr Leben komplett veränderte. Heute spricht sie mutig über das, was viele Frauen verschweigen: den Verlust der Weiblichkeit, die Suche nach sich selbst und die Hoffnung, dass sich endlich etwas ändert
Liebe Mai-Brit, wann hast du zum ersten Mal entschieden, offen über deine Wechseljahre zu sprechen?
Vor etwa zwei Jahren begann für mich eine Zeit, die ich heute als Einstieg in die Wechseljahre bezeichne – damals konnte ich das aber noch gar nicht so benennen. Ich saß bei meiner Frauenärztin, völlig verwirrt und orientierungslos, weil ich mich selbst nicht mehr wiedererkannte. Ich sagte ihr: „Wenn ich heute auswählen müsste – männlich, weiblich oder divers – ich würde ‚divers‘ wählen. Ich weiß nicht mehr, wer oder was ich gerade bin.“
Ich war seit über 12 Jahren in einer liebevollen Beziehung. Unser Sexleben war gut, innig und selbstverständlich. Und plötzlich war es einfach weg. Berührungen, die früher Geborgenheit bedeuteten, fühlten sich fremd an. Ich war nicht wegen der Wechseljahre beim Arzt, sondern weil ich dachte: Irgendwas stimmt nicht mit mir.
Im Gespräch fragte mich die Ärztin, wie ich mich sonst so fühle – da platzte es aus mir heraus: Ich schlafe seit Jahren schlecht, habe keine Lust mehr auf Nähe, auf Sex, auf gar nichts. Selbst kleine Dinge wie mich hübsch machen oder Haare waschen – völlig egal geworden. Ich hätte zwei Wochen in Jogginghose oder mit fettigen Haaren rumlaufen können, und es hätte mich nicht gestört.
Doch statt zuzuhören, schlug sie vor, ich solle meine Beziehung überdenken – vielleicht sei ja alles nur Routine. Aber darum ging es nicht! Es ging um mich, meine Lustlosigkeit – ich war wütend/sauer auf ihn, auf mich, auf alles (fehlt hier was? ☺). Erst dann nahm sie Blut ab. Wochen später erhielt ich einen kurzen Bericht: Ich sei erstaunlich früh in der Menopause. Und: „Wie besprochen“ „Wir hatten darüber gesprochen“ solle ich Gynokadin und Progesteron nehmen. Wie besprochen? Wir hatten nie wirklich über meine Gefühle gesprochen.
Ich war fassungslos. Was bedeutete das für mich? Wechseljahre? Hormoncreme? HET? Nebenwirkungen? Krebs? Wie nutze ich das Gel? Ich fühlte mich allein gelassen, begann selbst zu recherchieren, stellte Fragen, bohrte nach – aber echte Begleitung? Fehlanzeige.
Heute weiß ich: Es waren die Wechseljahre. Und ich möchte anderen Frauen Mut machen, ihrer Intuition zu vertrauen. Wenn du spürst, dass sich etwas verändert – sprich es aus, auch wenn du noch keine Worte dafür hast.
Hattest du zu diesem Zeitpunkt noch einen regelmäßigen Zyklus?
Nein, ich hatte überhaupt keine Ahnung. Nach der Geburt meines zweiten Kindes hatte ich so starke Blutungen, dass ich mehr Tage meine Periode hatte als nicht. Wahrscheinlich war das schon der Beginn der Perimenopause, aber niemand hat es mir gesagt. 2016 wurde bei mir deshalb eine Endometriumablation durchgeführt – also eine Verödung der Gebärmutterschleimhaut. Nach dem Eingriff blieben die Blutungen weitgehend aus.
Das Thema „Wechseljahre“ war für mich damit irgendwie auch erledigt. Ich dachte, wie viele andere auch, dass das erst irgendwann ab 50 kommt. Rückblickend weiß ich: Der Prozess hatte längst begonnen.
Haben dir die Hormone geholfen?
Anfangs habe ich das Progesteron gar nicht vertragen. Es löste starke Panikattacken und Herzklopfen aus. Ich musste es sofort wieder absetzen. Dann habe ich begonnen, die Dosis langsam zu steigern – in 10er-Schritten. Das hat Monate gedauert. Ich lag nachts wach, war überfordert und unsicher. Im Rückblick glaube ich, die Anfangsdosis war einfach viel zu hoch für meinen Körper. Heute - nach fast 2 Jahren langsamer Hochdosierung - nehme ich fast 200 mg Progesteron, und für meinen Körper scheint das genau richtig. Mein Schlaf ist deutlich besser als früher. Nicht perfekt, aber ich beschwere mich auf hohem Niveau.
Ich habe schon gemerkt, dass sich durch die Hormone etwas verändert – besonders an der Brust spürte ich erste Reaktionen. Meine Haut, die sich anfühlte wie die einer 80-Jährigen – trocken, faltig, spröde – wurde wieder lebendig. Meine Kopfhaut war nicht mehr so trocken, mein Schlaf besser.
Was sich allerdings nicht verändert hat: meine Libido. Da ist nach wie vor nichts zurückgekommen. Da fehlt was. Nicht nur körperlich, sondern emotional. Ich will mich als Frau wieder spüren. Schönere Haut ist nett – aber keine Lust zu empfinden, das trifft tief.
Kaum jemand redet über Libidoverlust. Ich tue es. Weil ich weiß, dass viele Frauen sich mit genau diesem Thema allein fühlen. Einige meiner Freundinnen auch. Manche reden darüber, andere nicht. Aber es betrifft uns – alle. Und es ist Zeit, dass wir das aussprechen.
Was sich allerdings nicht verändert hat: meine Libido. Da ist nach wie vor nichts zurückgekommen. Da fehlt was. Nicht nur körperlich, sondern emotional. Ich will mich als Frau wieder spüren. Schönere Haut ist nett – aber keine Lust zu empfinden, das trifft tief.
Hast du denn mittlerweile etwas gefunden, was dir hilft?
Ich habe so viel ausprobiert. Bücher, Ernährung, Kraftsport, Yoga – alles, was empfohlen wird. Seit über einem Jahr stehe ich jeden Morgen um fünf auf und nehme mir bewusst eine halbe bis eine Stunde nur für mich. Das ist meine Zeit. Und trotzdem: Die Libido fehlt, der Testosteronwert ist null.
Vor fünf Wochen habe ich mit DHEA begonnen – bisher nur Pickel, aber immerhin zeigt der Körper eine Reaktion. Heute war ich bei einer neuen Frauenärztin und habe um Testosteron gebeten. Die Antwort: Macht sie nicht – DHEA würde reichen. Wieder eine Tür zu.
Sie hat mir stattdessen ein Östrogenspray verschrieben (vorher Gel) und vorgeschlagen, das Progesteron zu halbieren. Da war für mich klar: Nein. Ich habe so viel durchgemacht – schlechter Schlaf kommt für mich nicht infrage. Da bin ich ganz klar. Denn ich weiß inzwischen genau, was mir hilft.
Ich will mich nicht abfinden mit einem Zustand, der sich nicht richtig anfühlt. Ich bin 48 – das Leben ist nicht vorbei. Ich will nicht einfach "funktionieren". Ich will leben. Und das ist es, was ich mir auch für alle anderen Frauen wünsche: Nicht aufgeben. Nicht klein beigeben. Weitermachen.
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Du hast in der Zeitschrift ‘Spiegel’ ein Interview gegeben und da ganz offen über Libidoverlust gesprochen. Wie bist du zu diesem Entschluss gekommen?
Ich bin eine ganz normale Frau. Zwei Kinder, einen Job, stehe mitten im Leben. Ich werde bald 48 – und das Thema Libido? Es fehlt mir. Nicht, weil ich täglich wilden Sex brauche – das ist mit einem Teenager und einem jüngeren Kind eh unrealistisch. Aber das Gefühl fehlt. Dieses Gefühl von Weiblichkeit, von Sinnlichkeit, von mir selbst. Und ich sage das ganz offen: Ich finde das richtig scheiße.
Ich habe das Glück, einen verständnisvollen, älteren Partner zu haben. Aber es belastet mich. Uns beide. Und ich frage mich: Warum redet da keiner drüber? Wenn ein Mann ein Problem hat, geht er zum Urologen, bekommt Testosteron – fertig. Kein Drama. Warum ist es bei uns Frauen so kompliziert?
Ich finde, wir müssen endlich darüber sprechen. Nicht flüstern, sondern laut. Denn es betrifft uns – mitten im Leben, nicht erst mit 75. Und das Schweigen macht es nur schwerer. Ich will mich nicht damit abfinden. Ich will Lösungen, echte Hilfe. Denn so, wie es ist, fühlt es sich einfach nicht richtig an
Aber das Gefühl fehlt. Dieses Gefühl von Weiblichkeit, von Sinnlichkeit, von mir selbst. Und ich sage das ganz offen: Ich finde das richtig scheiße.
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Wie hast du deinen Partner mit ins Boot geholt, wie hast du ihn für das Thema sensibilisiert?
Gerade am Anfang meiner “Wechseljahresreise” habe ich ja ganz viel gelesen, unterstrichen, geknickt und markiert. Da waren viele Aha-Momente für mich dabei. Die habe ich mit meinem Partner geteilt: „Guck mal, daran liegt das! Ich probier mal dies, ich probier mal das.“ Er war mittendrin. Hat alles mitbekommen und verstanden, was mit mir passiert. Und dass es nicht nur mein Thema ist. Es betrifft uns. Unsere Beziehung. Unsere Nähe. Und das war wichtig. Für uns beide.
Toll, dass du so einen verständnisvollen Partner hast – viele Frauen erzählen von ganz anderen Erfahrungen oder haben niemanden, der sie in dieser Zeit unterstützt.
Eine Freundin von mir hat sich nach dem Spiegel-Artikel geöffnet – in Bezug auf Libidoverlust – bei ihrem Mann!. Bei ihr: vier Jahre ohne Nähe. Ihr Mann redet nicht darüber. Meiner schon – und dafür bin ich dankbar. Wir wollen zusammen alt werden. Aber ehrlich: Ich will auch mal wieder eine Streicheleinheit spüren – und etwas dabei fühlen.
Es ist, wie Marlene Lufen mal sagte: „Wie ein Stück Holz.“ Und das trifft es genau. Nichts spüren. Gar nichts. Es ist mir egal – und das macht mich traurig (?). Früher habe ich gesagt: „Kraulst du mir den Rücken?“ – heute denke ich nur: „Spar dir die Mühe.“
Und ja, wir geben nicht auf. Aber wenn nach 15 Minuten nichts passiert, wird sich nach 30 auch nichts ändern. Dann schlafen wir vielleicht einfach nebeneinander ein. Es belastet mich. Auch wenn ich weiß, dass mein Partner mich versteht – ich frage mich manchmal: Würde ein jüngerer Mann noch mit mir zusammen sein wollen?
Hat dir das Teilen deiner Geschichte auch persönliche Erleichterung gebracht?
Ja, es war für mich eine Seelenreinigung, offen darüber zu sprechen. Und es war für andere Frauen. Denn wir sind so viele! Ich wünsche mir einfach mehr Ehrlichkeit. Ja, nichts wird wie früher. Aber wir müssen doch nicht einfach alles verlieren – Lust, Freude, Nähe, Identität.
Ich bin ja keine Expertin. Ich bin einfach eine ganz normale Frau, lebe mit meinen zwei Kindern im kleinen Ort, versuche mein Bestes – und wollte zeigen: Es kann ganz schön scheiße sein. Und es ist okay, das laut zu sagen.
Als bei mir die Diagnose kam, hat der Boden gebebt. Ich dachte: Bin ich jetzt alt? War's das? Dabei fing mein Leben gerade an, sich zu öffnen. Der Jüngste wird größer, man denkt: Jetzt kommt wieder Zeit für uns als Paar. Und dann sowas. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand anruft, mir erklärt, was das alles bedeutet. Stattdessen: Leere.
Neulich habe ich eine frühere Schulkollegin an der Kasse im Supermarkt getroffen. Ich frage, wie’s ihr geht, und sie: „Weiß ich nicht – vielleicht ist hormonell was nicht okay. Müsste mal dringend wieder zum Gyn“. Da dachte ich nur: Yes! Jetzt! Da geht was! Ich habe ihr versprochen, gute Infos mitzubringen. Wenn ich dadurch einen Funken setzen konnte – dann war das mein Beitrag. Und das macht mich stolz.
Denn: Es kann geholfen werden. Definitiv.
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