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Interview

Prof. Dr. med. Kai Bühling - Status quo zum Thema Hormonersatztherapie

Veröffentlicht von Saskia Scheibel im Oktober 2024

Artikelbild Prof. Dr. med. Kai Bühling - Status quo zum Thema Hormonersatztherapie

Foto: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Prof. Dr. med. Kai Bühling ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Inhaber einer Praxis und Leiter der Hormonsprechstunde am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Wir haben mit ihm über das Thema Hormonersatztherapie in den Wechseljahren gesprochen.

Wie würden Sie die aktuelle Geisteshaltung zum Thema Hormonersatztherapie (HET) in Deutschland beschreiben?

Die aktuelle Geisteshaltung ist durchaus positiver, als sie damals war, um die Jahrtausendwende. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich 2001/ 2002 eigentlich einstieg in diese ganze Thematik und dann 2002 die WHI Studie (Women`s Health Initiative) herauskam, die alles komplett auf den Kopf stellte.

Wobei man immer sagen muss, eigentlich war es gar nicht "auf den Kopf stellen", denn es waren alles Dinge, die man schon wusste. Aber diese Aussagen wurden von den Medien so hoch gepeitscht, dass es letzten Endes dazu führte, dass man als Arzt schon fast schräg angeguckt wurde, wenn man eine Hormonersatztherapie aufgeschrieben hat. Insofern war die Stimmung wirklich ganz schlecht. 

Das zog sich über einige Jahre hin. Dann kamen Studien, die zeigten, dass es doch alles nicht so schlimm ist. Und dann kamen Studien, die zeigten, dass es durchaus auch Vorteile einer Behandlung gibt. Jetzt sind wir an einem Punkt, glaube ich, wo das Pendel fast ein bisschen rüber schlägt und manchmal suggeriert wird, dass eigentlich jede Frau eine Hormonersatztherapie bekommen sollte. Das sehe ich nicht so. Meiner Meinung nach ist es wichtig, stets den Nutzen und die Risiken sorgfältig gegeneinander abzuwägen, was ich auch in jedem individuellen Gespräch tue. Insofern kann man sagen, dass grundsätzlich eine positive Geisteshaltung besteht und letzten Endes auch eine Bereitschaft, eine Hormonersatztherapie durchzuführen.

Das heißt, nachdem die Zahlen der Verschreibungen vor ca. 20 Jahren so stark eingebrochen sind, steigen sie nun wieder?

Wie gerade angedeutet, waren es die neuen Studienergebnisse, die alles in ein positiveres Licht drückten, da man feststellte, dass z.B. das Herz-Kreislauf Risiko gesenkt wird, wenn man frühzeitig mit Hormonen anfängt, dass möglicherweise dadurch bedingt auch der Morbus Alzheimer seltener auftreten kann und dass in jedem Fall die Hormonersatztherapie für die Osteoporose präventiv wirksam ist. Insofern haben wir da wirklich einige positive Ergebnisse. 

Die Zahl der Verschreibungen sind ein bisschen angezogen, zumindest so wie ich es mitbekommen habe, allerdings nicht sehr ausgeprägt. Es gibt sicher noch Luft nach oben, natürlich aus Sicht der Pharmafirmen, aber andererseits soll das einfach jede Frau für sich selbst entscheiden. Meine Sorge ist, dass nicht alle Patientinnen umfassend aufgeklärt werden, da im Praxisalltag oft nicht genügend Zeit bleibt, um auf jeden Fall individuell einzugehen. 

Viele Ärzte sagen, dass die Wechseljahre im Studium nicht oder nur ganz behandelt werden. Wie sieht es mit Weiterbildungsmöglichkeiten aus? Gibt es dort viele Angebote?

Also im Studium werden die Wechseljahre wenig behandelt. Ich halte eine Vorlesung darüber, in der ich kurz skizziere, aber daran wird sich später wahrscheinlich kaum jemand erinnern. Wenn man im Krankenhaus arbeitet, gibt es üblicherweise keine gynäkologische Endokrinologie Abteilung, so wie ich sie im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) habe, und somit eigentlich gar keine Weiterbildungsmöglichkeiten innerhalb des Krankenhauses. Das ist wirklich nur einigen wenigen Universitätskliniken vorbehalten. Bei uns gibt es natürlich die Möglichkeit zu hospitieren und das nutzen auch einige Kolleginnen und Kollegen. 

Darüber hinaus gibt es verschiedene Fortbildungsveranstaltungen, teilweise auch Intensivkurse. Man sollte jedoch stets im Hinterkopf behalten, wer hier möglicherweise eigene Interessen vertritt – sei es ein Großlabor, das an vielen Untersuchungen interessiert ist, oder ein Pharmaunternehmen, das sich in einem vorteilhaften Licht präsentieren möchte.Tatsächlich, muss man sagen, ist das Usus, das so zu machen. Dass ein Sponsor vorhanden ist, heißt nicht zwangsläufig, dass die Veranstaltung schlecht oder beeinflusst ist, sondern zunächst mal nur, dass es eine gibt und sie auch finanziert wird. Insofern ist das auch aus meiner Sicht zu begrüßen, sofern man  sich darüber bewusst ist, was der Interessenkonflikt ist. Es bestehen zwar theoretische Möglichkeiten zur Fortbildung, doch in der praktischen Umsetzung ist das nicht immer gewährleistet.

Wie gut sind Frauen zum Thema Hormonersatztherapie in den Wechseljahren aufgeklärt?

Inzwischen ja wirklich gut. Wechseljahre sausen durch die sozialen Medien und führen dazu, dass ganz viele Frauen aktiv suchen und natürlich jetzt auch gerade ein sehr geburtenstarker Jahrgang in den Wechseljahren ist. Insofern sind die Patientinnen doch recht gut aufgeklärt und haben auch vereinzelt verschiedene Bücher gelesen, insbesondere von Sheila De Liz, wo auch die Hormonersatztherapie sehr positiv beschrieben wird - an mancher Stelle vielleicht fast ein bisschen zu positiv, merke ich dann im Gespräch. Aber das schadet nichts, dann kann man darüber ja sprechen.

Verschreiben Sie denn Frauen in den Wechseljahren bioidentische Hormone? Für welche Beschwerden eignet sich die Therapie?

Natürlich, bioidentische Hormone sind ein wesentlicher Bestandteil. Eine sinnvolle Verschreibung kann erst für Patientinnen erfolgen, die sich bereits in der Menopause befinden, also nach ihrer letzten Regelblutung. Das liegt daran, dass die bioidentische Hormontherapie nicht sehr blutungsstabil ist und das wiederum dazu führt, dass man dann doch manchmal lieber ein Gestagen gibt, was den Eisprung unterdrückt bei Frauen, die noch Eisprünge und Blutungen haben. Insofern muss man wirklich individuell beraten und die Patientinnen aufklären. Aber selbstverständlich, bioidentische Hormontherapien sind etwas, was jede Frauenärztin und jeder Frauenarzt verschreibt. Manchmal wird das nicht so dargestellt, deswegen landen einige Patientinnen bei Heilpraktikerinnen und auch bei anderen Ärzten und Ärztinnen, die sich das auf die Fahnen schreiben. Ich glaube eigentlich immer noch, dass der Frauenarzt bzw. die Frauenärztin die besten Ansprechpartner sind. 

Für wen ist es nicht geeignet? Was sollte man beachten, wenn man eine HET machen möchte?

Kontraindikationen sind eigentlich nur hormonabhängige Tumore. Da muss man dann gucken, dass man doch möglicherweise andere Wege geht. Man muss außerdem darauf achten, dass eine orale Östrogentherapie das Thrombose- und das Schlaganfallrisiko erhöht, da kann man aber auf die transdermale Gabe über Pflaster, Spray oder aber Gel ausweichen, das kann man mit den Patientinnen besprechen. Es gibt also relativ wenig Kontraindikation, wenn man Hormone gibt.

“Kontraindikationen sind eigentlich nur hormonabhängige Tumore.”

Prof. Dr. med. Kai Bühling

Wann eignet sich bioidentisches Östradiol und wann Progesteron bzw. beides?

In der Hormonmangelsituation, in der Menopause, gibt man ein Östradiol, also das bioidentische Östradiol Das heißt bioidentisch, weil es genauso aussieht wie das vom Körper produzierte, aber es wird eben nicht mehr vom Eierstock produziert. Wenn die Gebärmutter noch vorhanden ist, dann muss auch Gestagen oder Progesteron gegeben werden, um zu verhindern, dass sich die Gebärmutterschleimhaut zu weit aufbaut. Insofern muss eigentlich immer beides gegeben werden, es sei denn, die Gebärmutter wurde entfernt. 

Progesteron macht müde, insofern kann man das auch gut bei Schlafstörungen einsetzen oder bei klimakterischen Beschwerden, die mit Schlafstörungen einhergehen. Da hat man dann gleichzeitig ein weiteres Problem wunderbar behandelt, weil die Patientinnen damit sehr gut schlafen. Ich habe selbst Progesteron probiert und habe auch sehr gut geschlafen.

Verschreiben Sie Frauen in den Wechseljahren auch andere Hormone, z.B. DHEA oder Testosteron? Wenn ja, wann ist das sinnvoll?

Andere Hormone verschreibe ich auch, also z.B. DHEA oder Testosteron bei Libidostörungen. DHEA ist immer so ein bisschen einfacher und preisgünstiger. Das wird dann im Körper in Testosteron und Östradiol umgebaut und insofern kann man das DHEA ganz gut verschreiben.

DHEA ist im Ausland ja auch zum Teil als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Testosteron muss dann wieder über die Haut gegeben werden, aber auch da kann man eine Rezeptur aufschreiben und das mal ausprobieren bei Patienteninnen, die vielleicht besonders schlapp sind. Dann muss man schauen, ob es hilft und dass sie auch nicht zu hoch dosieren. Ich würde immer empfehlen, nach ca.  acht Wochen eine Dosiskontrolle zu machen, bevor es irgendwie zum Bartwuchs kommt.

Gibt es ihrer Meinung nach Alternativen zur HET, die ähnlich wirksam gegen die Symptome der Wechseljahre sind?

Alternativen zur Hormonersatztherapie gibt es wenige. Die ganzen, sagen wir mal, Naturkräuter und Naturprodukte helfen hinsichtlich der Symptome wie z.B. Hitzewallungen verhältnismäßig wenig. Viele Patientinnen haben zwar positive Veränderungen erlebt, aber insgesamt war das Ergebnis nicht so herausragend.

Und insofern bin ich da eher zurückhaltend, sowas zu verordnen. Die meisten Patientinnen, die sich bei mir vorstellen, haben das schon bereits genommen und brauchen dann etwas, was  stärker wirkt.

Für wie wichtig halten Sie HET im Kontext der Prävention bzw. dem gesunden Altern von Frauen?

Zusammengefasst denke ich, dass die Hormonersatztherapie einen wesentlichen Einfluss auf die Prävention bestimmter Erkrankungen hat und somit auch zu einem gesunden Altern führt. Man darf allerdings nicht vergessen, dass es durchaus andere Substanzen gibt, die präventiv wirksam sind oder aber auch die typischen Wechseljahresbeschwerden behandeln. Insofern gehört es bei mir immer dazu, auch den Vitamin-Spiegel zu messen, z.B. Vitamin D, um zu gucken, ob es da einen Mangel gibt. Vitamin D ist wichtig für die Knochengesundheit und auch was Depressionen angeht, gibt es da Korrelationen. Oder die B-Vitamine:, wenn eine Patientin unter Müdigkeit leidet, die auch dadurch hervorgerufen werden kann, dann

sollte man das substituieren. Zudem empfehle ich immer Omega-3 Fettsäuren, die haben den Vorteil, dass sie die Verdauung normalisieren und auch zu einer guten Darmflora führen, die wiederum eine bessere Stimmung macht. Ich gebe auch grundsätzlich gerne Ginkgo für das Gedächtnis, bei Brain Fog zum Beispiel. Darüber hinaus gebe ich häufiger Lycopin, das ist ein Carotinoid, was aus Tomatenmark gewonnen wird, also aus dem Konzentrat und das Risiko für Krebserkrankungen senkt, wie viele Studien zeigen und auch dafür sorgt, dass das Herz-Kreislauf System gesund bleibt. 

Man kann also definitiv noch was über Hormone hinaus machen. Man sollte immer daran denken, dass bei der Hormonersatztherapie, speziell das Gestagen oder Progesteron zu einer Erhöhung des Brustkrebsrisikos führen kann, allerdings erst nach fünfjähriger Einnahme bzw. Anwendung - zumindest statistisch gesehen. Man kann sich also auch etwas überlegen, was über diese Zeit hinausgeht. Wenn die Patientin keine Beschwerden mehr hat und etwas Gesundes für sich tun möchte, ist eine Substitution von Mikronährstoffen eine wirklich gute Wahl. 

Vielen Dank für dieses spannende Interview!

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